Fragmente zu einem quasi „klimaneutralen“ Ausstellungsprojekt

"Dieser Essay ist ein Fragment. Dies ist nicht verwunderlich, da die überwältigende Schubkraft der sich überlagernden Krisen, die das Jahr 2020 kennzeichnen, uns von Handelnden zu Getriebenen hat werden lassen. Die Vorstellung einer linearen Zukunft ist an der Wirklichkeit zerschellt. Wir betrachten die vor (und hinter) uns liegenden Bruchstücke und denken über unser weiteres Vorgehen nach. Doch wie wir weiter handeln werden, und davon bin ich überzeugt, wird stark damit zusammenhängen, wie wir die folgende Frage für uns beantworten: Wo stehen wir? Vor, während oder nach der Apokalypse?

Diese unmittelbare Frage, formuliert von dem französischen Wissenschaftstheoretiker und Philosophen Bruno Latour habe ich im letzten Jahr vielen unterschiedlichen Menschen gestellt. Die ihr inhärente Wucht macht es schwer, sie indirekt zu beantworten oder ihr auszuweichen.

Peter Niemann, Josephs Anzug (Joseph’s suit), Original Joseph Beuys felt suit, Marlboro patch, 1997, 67.3 x 35.4 in.

Herr Latour hat seine eigene Frage übrigens folgendermaßen beantwortet: By the way, Mr. Latour answers his own question ed it as follows: “You have to situate yourself in [the apocalypse]. The only position related to the apocalypse is to accept, to open oneself to the revelation which is the real meaning of the word apocalypse. Now is the chance to act. And if you say, ‘well we get by, we probably pass, you guys are overdramatizing,’ [but] we understand nothing of the situation.” He continues,and adds: “How much [...]of a certainty of a catastrophe do [we] have to absorb to get us out of our complacency. So it is a complicated thing. So I would say that we could ignore entirely the question of the apocalypse and that might be a better solution, but we cannot, because at the heart of the indifference for the crisis, the ecological crisis, [...]there is something which is connected to the fact of being beyond or after the revelation, so to speak., so we cannot avoid, […]This is why I say, ‘if you say I am an apocalyptic I say yes,’ we need to accept and to explore the importance of this theme even though it leads you to the whole history of religion and history of the western world basically.”

Stefanie von Schroeter, Großer Knochen (large bone), 2012, Oil, lacquer, acrylic and ink on animal bone, 2012, 14.2 x 4.3 x 3.5 in.

Liegt also das Problem in der gesellschaftlichen Indifferenz und der daraus klaffende Lücke zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und sozioökonomischen Handeln, durch die alles ins Schwimmen gerät, wenn wir versuchen, uns als Weltgemeinschaft einem existenziellen Problem zu stellen? Oder entstehen die Schwierigkeit in der zunehmenden Härte, wie dieser Diskurs geführt wird – der Ablehnung einer faktenbasierten Wirklichkeit durch immer breitere gesellschaftliche Gruppen auf der einen, ein zunehmendes Unverständnis und wachsende Ungeduld auf der anderen Seite?

Jeder Diskurs – ein apokalyptischer mit eingeschlossen - ist stets eine narrative Struktur, und damit etwas Imaginäres. Dieser Umstand kann instrumentalisiert werden, um Momente der Geschichte in eine Richtung zu senden. An dieser Schwelle, dem wahrscheinlich prägendsten Zeitraum des 21. Jahrhunderts, stehen sich zwei sehr unterschiedliche Träume mit zunehmender Unversöhnlichkeit gegenüber (diejenigen, die nicht träumen oder es vorziehen, indifferent zu bleiben, natürlich ausgeschlossen): Der düstere Traum des Neoliberalismus und sein technophantastischer Solutionismus auf der einen, der Wunsch nach einer grundlegenden Rekalibrierung und klimagerechten Anpassung globaler Handlungssysteme auf der anderen Seite.

Žižek – natürlich kommt jetzt Žižek. Wer denn sonst. Hat er schon ein Buch zur Covid-19-Pandemie geschrieben? Ich weiß, ich weiß. Er sagte aber ein paar gute Sätze, die ich an dieser Stelle für eine Überleitung brauche.

Jonathan Monk, The Tragic Tale of, 2020, Wooden board, spray paint, 17.7 x 9.8 in.

Also weiter.

Ein anderer einflussreicher Denker der Gegenwart, der Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Žižek antwortete kürzlich in einem Interview mit der Berliner Zeitung auf die Frage „Kann man noch hoffen?“: „Man kann hoffen, aber auf eine paradoxe Art! Ich plädiere für einen Mut der Hoffnungslosigkeit. Wenn wir hoffen wollen, dann sollten wir akzeptieren, dass unser altes Leben vorbei ist. Wir sollten eine neue Normalität erfinden. Unsere basale Beziehung zur Realität hat sich gerändert – wie wir die Welt sehen, wie wir mit ihr interagieren. Unsere Beziehung zur Realität ist radikal auseinandergefallen. Je eher wir das zugeben, desto besser.“

Ich möchte an dieser Stelle sogar noch einen Schritt weitergehen und für eine radikale Hoffnung plädieren (übrigens auch ein aktueller Buchtitel des amerikanischen Philosophen Jonathan Lear, den ich hiermit wärmstens empfehlen möchte).

Aristoteles hat Mut definiert als eine angemessene Haltung zwischen Beschämung und Furchterregung, einen Weg zwischen Feigheit und Verwegenheit zu finden. Und hier kommt das künstlerische Handeln ins Spiel. Kunst verfügt über die herausragende Fähigkeit, Vergangenheit und Gegenwärtiges in eine zukunftsgerichtete Dimension zu transformieren. Sie handelt – wenn sie nicht zweckgebunden ist – in einem disparatem Raum angefüllt mit Mut und radikaler Hoffnung.

In diesem Spannungsfeld, in diesem verrückten Jahr, in der unwirklichen Umgebung einer Eisscholle im europäischen Nordmeer ist diese Ausstellung angesiedelt.

Andreas Templin

Nika Fontaine, Bread of Shame, 2020, Bread, activated charcoal, wine, Weihrauch incense, Dimensions variable

I.

Kunst zur „Klimakatastrophe“ hat ein Thema und ein dezidiertes Anliegen, ist engagiert und überaus politischer Natur. Als solche wird Kunst zur Klimakatastrophe immer wieder als „unfrei“, instrumentalisiert“, ja als „agitatorisch“ kritisiert und dieses ist ein Vorgang, der bei politischer Kunst in den letzten Jahrzehnten immer wieder fast schon reflexhaft einsetzt. Die harschen Verrisse der letzten documenta 14, deren Konzept ausgesprochen politischer Natur war, zum Beispiel gingen ebenfalls genau in diese Richtung. Die Gründe für diese kritischen Abwertungen sind offensichtlich: Politische Kunst verstößt gegen zwei „ bürgerliche Grundregeln“ der „freien“ Kunst, nämlich 1. gegen ihre Autonomie, also der, frei nach dem deutschen Philosoph der Aufklärung Immanuel Kant, Interesselosigkeit; und 2. leugnet sie die hehren Ansprüche, im Sinne von Clemet Greenberg, einer avanciert-avantgardistischen, reinen ästhetischen Form. Gerade die documenta 14, um bei diesem Beispiel zu bleiben, hat gegen diese beiden im (bürgerlichen) Kunstbetrieb immer noch gültigen Grundregeln bewußt und entschieden verstoßen, besser: rebelliert, und wurde entsprechend flächendeckend als „agitatorisch“, „drittklassig“ und „folkloristisch“ diffamiert. Entscheidend in unserem Kontext hier ist, dass, die documenta 14 betonte es mit ihrer Ausstellung und ihrem diskursiven Begleitprogramm, diese Kategorien eurozentristischer Natur sind, die heute einerseits dazu dienen, wie gesagt, politische Kunst zu diskreditieren, andererseits zudem dazu, moderne Kunst „westlicher“ Prägung als die einzig mögliche Kunst zu behaupten. Spielt man dieses eurozentristische Spiel nicht mit, dann ist politische Kunst, die ja eh immer zum Kanon westlicher Kunst dazu gehört hat (man denke nur an John Heartfield, Joseph Beuys General Idea, Martha Rosler ...) selbstverständlich eine überaus ernstzunehmende, ja notwendige Form zeitgenössischer Kunst. Angesichts von „Goodbye, World“ stellt sich dann zwangsläufig aber wenigstens folgende Frage: Welche Optionen aber hat die Bildende Kunst angesichts der Klimakatastrophe? Der Versuch einer Antwort: Die Kunst kann künstlerische Narrative entwickeln, die vor den Folgen der Katastrophe warnen, sie kann aufklärend und analysierend Schuld- und Wirkungszusammenhänge des Klimawandels aufzeigen und sie kann zudem sensibilisieren für ein anderes, nicht mehr auf Naturbeherrschung und -ausbeutung konzentriertes Verhältnis zu eben nicht „unserer“ Umwelt. Eine nachhumanistische Weltsicht also gilt es an die Stelle von anthropozentrischer Hybris zu behaupten! Beispiele für diese künstlerischen Narrative werden in „Goodbye World“ demonstrativ und einverstanden dem Willen des Klimawandels, nämlich der Erderwärmung und daraus resultierenden zunehmenden polaren Eisschmelze, ausgesetzt.

Joulia Strauss, Rituals of environmental grief: First Delphic Hymn to Apollon, 2021, Ritual, Duration variable.

II.

Eine gesellschaftskritische Identitätspolitik in Kombination mit Feminismus und Postkolonialer Theorie gibt derzeit im Kunstbetrieb über weite Strecken den diskursiven Ton an, das Thema „Klimakatastrophe“ geht selbst in wichtigen Großausstellungen wie z. B. der Documenta in Kassel beinahe unter. In diesem Kontext wird auch das Ausstellungsprojekt „Goodbye, World“ verortet werden. Dabei wird „Goodbye, World“ gezielt auch diese Frage stellen: Warum eigentlich ist besagter Komplex „gesellschaftskritische Identitätspolitik in Kombination mit Feminismus und Postkolonialer Theorie“ derzeit so viel prominenter im Kunstbetrieb vertreten als der Komplex der globalen Klimakatastrophe? Und dieses obwohl, trotz aller Dringlichkeit von Feminismus und Postkolonialer Theorie, letzterer Komplex ohne Zweifel von sehr viel wichtigerer Bedeutung für das (Über)Leben, und dieses übrigens nicht nur für die Menschen jedweden Geschlechtes und jedweder Hautfarbe, auf unserer Erde ist. Hierzu nun kurz der Versuch, einige Antworten auf diese Frage zu geben. 1. Anders als identitätspolitische Ästhetiken erlaubt Kunst zur Klimakatastrophe die Möglichkeit zur Personalisierung in deutlich geringerem Ausmaß. Schließlich geht es hier im wesentlichen um ein Problem, das zwar sowohl Schuldige wie Opfer kennt und beides in sehr großen Mengen, beides lässt sich aber eben deswegen kaum in so etwas wie einem individuellen Maßstab personalisieren. Genau dieses aber erschwert eine Angriffsstrategie auf ausgewählte Subjekte, die die Identitätspolitik in ihrer (medialen) Außenwirkung so attraktiv macht. 2. hat sich im Umfeld um die Postkoloniale Theorie in den letzten Jahren eine breit aufgestellte akademische „Theorieindustrie“ (Maria do Mar Castro Varela/Nikita Dhawan) entwickelt, die jetzt auch im Kunstbetrieb ein Tätigkeitsfeld entdeckt hat. Die Theorie rund um die Klimakatastrophe dagegen ist immer noch vor allem in den Wissenschaften der Meteorologie und Biologie zu Hause, nicht aber in der Kunst. Und 3. haben Feminismus und Postkolonialismus den „Vorteil“, dass ihre Probleme vergleichsweise überschaubar und lösbar erscheinen, während die Probleme der Klimakatastrophe nicht nur unübersichtlich weitreichend, unfassbar und immer noch nicht vollständig erforscht erscheinen, ihnen zudem noch der Makel des leider nicht Abwendbaren anheftet. All dieses scheint in der Kunstwelt offensichtlich nachhaltig abzuschrecken vor einer intensiven Beschäftigung mit der Klimakatastrophe.

Raimar Stange
Open Call Exhibition
© apexart 2021

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